Die MIT Saar ist bestürzt über die Änderungen am Bundesinfektionsschutzgesetz.
„Der erneute harte Lockdown ist ein Rückschritt in unserem Kampf gegen die Pandemie“ so die Landesvorsitzende Sarah Gillen, MdL. „Am 06. April haben wir im Saarland ein Modell gestartet, das das Testen stärker in den Vordergrund stellt und so die Sicherheit erhöht, mehr und früher asymptomatisch Infizierte zu erkennen und Infektionsketten so sehr schnell zu unterbrechen.“ Alleine in der Kalenderwoche 15 konnten so 389 Infizierte in den Testzentren identifiziert werden, die sonst sicher viele weitere Kontaktpersonen infiziert hätten. Insgesamt wurden in der Woche 311 Tsd. Tests in den ca. 400 saarländischen Testzentren durchgeführt. Dass sich so viele Menschen testen lassen, ist nicht nur mit dem einfachen Zugang zu kostenlosen Tests erklärbar, sondern hängt auch mit den Möglichkeiten zusammen, die durch einen negativen Schnelltest entstehen. So ist damit sowohl der Einkauf in der Innenstadt mit Besuch in der Außengastronomie, der Friseurbesuch oder Sport z.B. im Fitnessstudio verbunden. Durch die Änderungen am Bundesinfektionsschutzgesetzt fallen viele der Freiheiten wieder weg, damit einhergehend wird auch die Bereitschaft zum Schnelltest zurückgehen. Mit gestiegener Testquote ist selbstverständlich auch die Inzidenz gestiegen, die sich allerdings sicher in den nächsten Wochen durch frühere Identifizierung von Infizierten wieder mit niedrigeren Werten stabilisiert hätte. Aber auch verfassungsmäßig gibt es einige Gründe für das Saarland-Modell. Dazu hat unser Mitglied Markus Groß ausführlich Stellung bezogen.
Mit dem Saarland-Modell hat Ministerpräsident Tobias Hans einen Systemwechsel in der Bekämpfung der Corona-Pandemie eingeleitet. An die Stelle von Verboten und der Schließung zahlreicher Einrichtungen und Betriebe sind Öffnungen mit Auflagen getreten. Eine breit angelegte Schnelltestpflicht schafft sichere Räume in Handel, Gastronomie, Kultur und Sport.
Dafür haben Gemeinden Kreise und Unternehmen über 400 Testzentren im ganzen Land auf die Beine gestellt. Mit dem Anreiz für mehr Tests können Infektionsketten schneller erkannt und unterbrochen werden. Der neuen Kurs soll das Land schrittweise aus dem Lockdown führen und den Bürgern eine Perspektive gegeben.
Der Weg von Tobias Hans ist auch verfassungsrechtlich geboten. Die Abwägung zwischen staatlichem Schutzauftrag für Leben und körperliche Unversehrtheit und den Freiheitsrechten der Bürger bedarf aus drei Gründen einer Neubewertung:
Erstens darf die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseingriffen nicht losgelöst vom Faktor Zeit betrachtet werden. Die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Folgen der coronabedingten Einschränkungen und Verbote werden maßgeblich durch die Dauer der Maßnahmen bestimmt. Für eine Reihe von Betrieben und Branchen bedeuten die Maßnahmen zur Pandemie Bekämpfung seit über einem Jahr ein nahezu vollständiges Berufsverbot. Für Gastronomiebetriebe ist aus dem „Wellenbrecher-Lockdown“ vom November längst ein existenzbedrohender Dauerzustand geworden. Unter diesem Gesichtspunkt hat auch das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes unlängst entschieden, dass die Schließung von Einzelhandelsbetrieben nicht mehr verhältnismäßig ist.
Zweitens muss die Abwägung zwischen dem Gesundheitsschutz und den Freiheitsrechten die Fortschritte bei der Pandemie-Bekämpfung berücksichtigen. Während in der ersten Phase der Pandemie über die Hälfte der Verstorbenen Bewohner von Pflegeheimen waren, hat sich deren Zahl zunächst durch Schutzkonzepte und inzwischen durch flächendeckende Impfungen signifikant reduziert. Das Saarland nimmt bundesweit einen Spitzenplatz bei den Impfungen ein. Durch den Impffortschritt gerade in der älteren Bevölkerung werden sich die Sterblichkeit und die Belastung für das Gesundheitssystem kontinuierlich reduzieren. Das erfordert eine fortlaufende Neubewertung der mit dem Coronavirus verbundenen Gefahren und verschiebt das Gleichgewicht in der Abwägung mit anderen betroffenen Rechtsgütern.
Drittens handelt der Staat nur verhältnismäßig, wenn er das mildeste Mittel wählt. In der ersten Welle war der pauschale Lockdown bis hin zu Ausgangssperren mit der schnell heraufziehenden Gefahr und erschreckenden Bildern von überlasteten Intensivstationen in Norditalien zu rechtfertigen. In der Not räumt die Verfassung der Exekutive einen weiten Einschätzungsspielraum ein. In einem fortgeschrittenen Stadium der Pandemie gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Weiterentwicklung hin zu zielgerichteten, weniger einschneidenden Maßnahmen. Pauschale Verbote wie Ausgangssperren oderBetriebsschließungen müssen zur Ultima Ratio werden, obgleich sie bei Verschärfung des Pandemiegeschehens und drohender Überlastung des Gesundheitssystems weiter in Betracht kommen können.
Das Saarland-Modell zeigt zugleich, dass der Föderalismus seiner wichtigsten Funktion gerecht wird. Die Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern entfaltet ihre mäßigende Wirkung beim Grundrechtsschutz. Diese Errungenschaft wird durch Bestrebungen nach verschärften bundesgesetzlichen Regelungen bedroht. Unbestreitbar besitzt der Bund dafür die Gesetzgebungskompetenz. Verhältnismäßig sind bundeseinheitliche und pauschale Verbote deswegen noch lange nicht.
Zum Autor: Unser Mitglied Dr. Markus Groß ist als Rechtsanwalt in Saarbrücken tätig, stellvertretendes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes sowie Mitglied im Ausschuss Verfassungsrecht der Bundesrechtsanwaltskammer. Er ist Referent für Inneres im Landesvorstand und ehrenamtlicher Justitiar der CDU Saar sowie stellvertretender Kreisvorsitzender der MIT im Landkreis Neunkirchen.
*Der Beitrag erschien am 10.4.2021 in leicht abgewandelter Form in der Saarbrücker Zeitung